Manfred Tettke

Manfred Tettke

| Heimkind in der Königsheide von 1965 bis 1976

 

Einleitung

Manfred Johannes Alfred Tettke, geboren am 12. Juni 1957, wuchs seit seinem ersten Lebensjahr in verschiedenen Kinderheimen auf. Grund dafür war, dass seine Mutter schwer erkrankte und verstarb als Manfred ein Jahr und zehn Monate alt war. Sein Vater wurde aufgrund seines Alters vom System der DDR als „erziehungsunfähig“ betrachtet, denn zu Manfreds Geburt zählte er bereits 63 Jahre. Zu alt, um Manfred zu einer sozialistischen Persönlichkeit zu erziehen.

Zuerst lebte Manfred im kirchlichen Heim Katharinenstift und danach im Kinderheim Strausberg, bevor ihn sein Weg am 29.08.1965 in die Königsheide führte. Mit Staunen erblickte er an diesem Tag, zum ersten Mal das große schmiedeeiserne Tor und das riesige Gelände. Dort blieb er bis zu seinem 18. Lebensjahr. Zwischen seiner Einweisung und seiner Entlassung lagen genau zehn Jahre und sieben Monate. Da Manfred kein anderes Leben, als das im Kinderheim, kannte, kam er insgesamt gut zurecht. Kinder, die das Familienleben kennengelernt haben, hatten es schwerer die Zeit im Heim gut zu überstehen. Am 01.04.1976 begann sein Weg in die eigenen vier Wände und damit in ein eigenständiges Leben. Eine ausreichende Vorbereitung auf das Leben außerhalb des Heims und eine fürsorgliche Nachbetreuung fehlten dabei leider, was vielen Heimkindern ihren Weg erschwerte.

Seine Kindheit fasst Manfred so zusammen: „Meine Kindheit war nicht unbedingt ein Höllenritt. Aber auch kein Ponyhof.“ Liebe, Zuneigung, Akzeptanz und Mitgefühl hat er oft vermisst.

 

Alltag im Kinderheim

Der Alltag für die Kinder in der Königsheide war vom Wecken bis zur Nachtruhe minutiös geplant. Um 6:00 Uhr standen die Kinder auf, 6:30 Uhr gab es Frühstück, 7:00 Uhr wurden die zugeteilten Ämter, wie zum Beispiel Waschraumdienst, Mülleckendienst und Tischdienst, erledigt. 8:00 Uhr war Schulbeginn, 13:30 Uhr Schulschluss, dazwischen gab es Mittagessen. Nach der Schule wurde Mittagsschlaf gemacht und danach gab es das „Kaffeebrot“, ab 15:00 Uhr mussten die Hausaufgaben erledigt werden, 17:30 gab es Abendbrot, 19:00 Uhr fand erneut die Erledigung der zugeteilten Ämter statt, 19:30 schauten die Kinder die „Aktuelle Kamera“ und 22:00 Uhr war die Nachtruhe; schmunzelnd erzählte Manfred, dass er und seine Gruppenmitglieder als Jugendliche dann erst recht aktiv wurden.

Sie kletterten aus ihren Zimmern, um Freunde in anderen Häusern zu besuchen, sich am Kletterschiff zu treffen oder im Sommer im Schwimmbecken baden zu gehen. Erwischt wurden sie dabei nie. Freie Zeit stand den Kindern zwischen erledigten Hausaufgaben und der Nachtruhe sowie in den Ferien zu Verfügung. Manfred selbst war Mitglied des Foto-Zirkels, lernte Judo und entdeckte durch die Singegruppe sein Interesse für das Gitarre spielen.

Zum Alltag im Kinderheim besitzt Manfred ein interessantes Zeitdokument: das Gruppenbuch der Klasse 10b. Dieses Gruppenbuch wurde von jedem Erzieher sorgfältig geführt. Die Gruppenstatistik, die Zensurenübersicht, der Stundenplan, die wöchentliche Alltags- und Freizeitplanung sowie die wöchentliche Auswertung waren Bestandteile. Das Gruppenbuch diente den Erziehern nicht nur zur Arbeitsvor- und Nachbereitung, sondern galt auch als Nachweis ihres systembedingten pädagogischen Auftrages in der DDR, nämlich die Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen. Dieser Auftrag sei von vielen Erziehern, laut Manfred, mit „aufgesetzten Scheuklappen sowie sturen ideologischen Tunnelblick“ durchgeführt worden. Wie Manfred zu dem Gruppenbuch gekommen ist, weiß er heute nicht mehr. Normalerweise blieben die Gruppenbücher im Besitz des Kinderheims.

Ein Zitat aus dem Gruppenbuch lautet: „Weiterhin wurde der Bekleidungseinkauf fortgesetzt. Am Sonnabend nahmen alle Schüler, außer Manfred Tettke, an der Begrüßung des Genossen Breschnew teil. Schwierigkeiten gibt es immer noch, wenn es gilt, die Forderung nach dem Tragen der FDJ- Kleidung durchzusetzen. Das Wochenende verlief recht ordentlich. Der Sonntag stand ganz im Zeichen der Festlichkeiten aus Anlass des 25. Jahrestages der DDR. Alle Schüler, außer Manfred Tettke, waren pünktlich zum Treffpunkt für den Fackelzug.“

 

Mehr zum Alltag in der Königsheide im Video.

 

 

Politische Erziehung & Pflichten

Durch die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen wurde auch von den Kindern der Königsheide gefordert, sich dem politischen System zu fügen. Ab der 1. Klasse mussten die Kinder Mitglied der Jungpioniere werden. Mit der Pubertät kam auch die Aufforderung an die Heimkinder, sich politisch zu bekennen. Dazu gehörte der Eintritt in die FDJ ab der 7. Klasse, das gemeinsame Anschauen der „Aktuellen Kamera“ und das Erstellen von Wandzeitungen zu politischen Ereignissen. Manfred beschreibt dies auch als „Zeit der politisch, hochmotivierten, systemtreuen, karrierebesessenen pädagogischen Administratoren, die den Anforderungen des politischen Systems, in dem ich alternativlos erwachsen werden durfte, kompromiss- und bedingungslos gerecht wurden.“ Daher fühlten sich viele Kinder, darunter auch Manfred, in ihrer Zeit im Kinderheim oft missverstanden und ignoriert. Individuelle Fürsorge und Feinfühligkeit blieben daher oftmals auf der Strecke. Trotzdem, betont Manfred, gab es auch Lehrer und Erzieher die aus Überzeugung Pädagogen geworden sind, denen man jedoch mehr Freiraum bei der Ausübung ihrer Arbeit hätte geben müssen.
Jeden Freitag fand der sogenannte Ordnungs- und Sauberkeitsapell, unter Aussicht der Erzieher, statt.

Darüber spricht Manfred ausführlich im folgenden Video.

 

 

Besondere Tage und Ferien

    „Neptunfest“

 

Der erste besondere Tag in der Königsheide stellte für Manfred seine Einschulung dar. Im vorherigen Heim hatte man ihn einfach vergessen, für die Schule anzumelden. Mit einem Tropfen Wehmut im Auge erinnert er sich an die riesige Schultüte, die es für alle Kinder der Königsheide zur Einschulung gab, zurück. Allerdings war die Größe trügerisch, denn üppig gefüllt war die Tüte nicht.

Zu seiner Zeit in der Königsheide umfassten die großen Sommerferien noch acht Wochen, und mindestens drei davon verbrachte der junge Manfred jedes Jahr in verschiedenen heimeigenen Ferienlagern. Eine Zeit an die er sich gerne erinnert. Später als Jugendlicher hat er auch in den Ferien gearbeitet und von dem verdienten Geld kaufte er sich zum Beispiel eigene Kleidung.

Manfred erinnert sich auch noch gut daran, dass Geburtstage in der Königsheide nicht großartig gefeiert wurden, aber eine lustige Geschichte zu einem seiner eigenen Ehrentage gibt er im Video zum Besten.

 

 

Weihnachten

Heimkinder, deren Eltern noch lebten, durften Weihnachten zuhause verbringen. Manfred Tettke zählte nicht dazu – jedoch hieß das für seinen Fall, dass er sich Geschenke im Wert von 20 Mark wünschen durfte, während die Kinder mit Eltern nur einen Rahmen von 10 Mark für die Wunschliste hatten. An die besinnliche Weihnachtszeit in der Königsheide erinnert sich Manfred gerne.

Im Jahr 1968 erlebte Manfred ein ganz besonderes Weihnachten. Er durfte das Weihnachtsfest bei einer Familie aus der Patenbrigade verbringen. Als Patenschaft oder Patenbrigade wird die freiwillige Übernahme von Fürsorgepflichten, dazu gehörte auch die materielle Unterstützung, genannt, welche durch unterschiedliche Motivationen zustande kamen. So gab es politisch motivierte Patenschaften oder Patenschaften zwischen der werktätigen Bevölkerung und den Kollektiven der Kulturschaffenden. Daraus gingen nicht selten Einzelpatenschaften hervor, die auf Sympathie und Mitgefühl beruhten.

Warum gerade er, Manfred, Weihnachten dort verbringen durfte, weiß er selber nicht, „ob es gegenseitige Sympathie, einseitiges Mitleid, gesellschaftspolitische Pflichterfüllung oder ob möglicher Weise irgendein Niedlichkeitsfaktor dabei eine Rolle gespielt hat“. Die Familie bestand aus einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Sohn Michael, der etwas älter was als Manfred. Den Michael kannte er bereits aus dem Betriebsferienlager in Kagel bei Berlin.

Er denkt freudig daran zurück und berichtet: „Es erfüllte mich damals ein wenig auch mit Stolz, dass ich als Heimkind im Betriebsferienlager meiner Patenbrigade einen Freund bei den großen Jungs hatte, der nicht aus dem Heim war. Möglicherweise ergab sich ja auch vielleicht daraus die Situation, dass ich das Weihnachtsfest bei dieser Familie verbringen durfte“.

 

Genaueres über die Weihnachtszeit im Heim und über sein Weihnachtserlebnis außerhalb des Heims erzählt Manfred im Video.

 

 

 

Erinnerungen

1965 war nicht nur das Jahr, in dem Manfred Tettke in die Königsheide kam, sondern auch der Zeitpunkt, an dem einmal wieder ein Heimleiterwechsel stattfand. Letzteres war im Heim Königsheide kein seltenes Vorkommnis. Manfred kam, Heimleiter „Vater Riese“, wie er liebevoll von den Kindern genannt wurde, ging.

Damit ging auch die Zeit der „Ponyhof-Generation“ zu Ende, wie Manfred es gerne formuliert. Ein Zitat von ihm dazu lautet: „Oft haben wir, mit gespitzten Ohren und offenem Mund zugehört, wenn die älteren Heimbewohner in den höchsten Tönen Loblieder gesungen und Geschichten aus der guten alten Zeit und den Anfängen des Kinderheimes erzählt haben“.

 

Diese und zwei weitere Geschichten erzählt Manfred in diesem Video.

 

 

 

Manfreds Lied

Ferienlager Burg Gleikenstein

Als Jugendlicher entwickelte Manfred Tettke eine Leidenschaft für die Musik, genauer gesagt: er wollte lernen, die Gitarre zu spielen. Von seinem ersparten Geld, dass er durch Arbeit in den Ferien verdient hatte, kaufte er sich alsbald sein erstes, eigenes Instrument. Leider hatte er nicht lange etwas davon, da es ihm von einem anderen Heimkind gestohlen wurde. Manfred ließ sich von diesem Rückschlag jedoch nicht beirren, ging wieder arbeiten, sparte sein Geld, und erwarb seine zweite Gitarre, die er auch heute noch besitzt. Seit jeher ist das Saiteninstrument sein stetiger Begleiter. Gerne erinnert er sich an seinen ersten Bühnenauftritt in der Kongresshalle zum 20. Geburtstag des Kinderheims Königsheide zurück.

Vor zwei Jahren hatte Manfred ein Projekt ins Leben gerufen, dessen Ziel es war, ein Vereinslied zu kreieren. Daraus ging das von ihm geschriebene Lied „In Erinnerung an die Königsheider“ hervor, welches Manfred im folgenden Video auf der Gitarre begleitend singt.

 

 

Hier ein kleiner Auszug vom Liedtext:

Mit dem Eichhörnchen im Herzen
und dem Kletterschiff auf großer Fahrt
durch die Sehnsucht unserer Träume
wurden viele von uns stark.

Wir waren Königsheider mit unserem Leib und unser Seele,
wir spielten, wir lachten und weinten auch,
und sind wir auch mehrmals hingefallen,
so standen wir immer wieder auf.

Und zieh ich heute durch die Königsheide,
dann flüstert’s mir, hier warst du einmal Kind, u
nd dann denk ich auch an jene, die bei uns hier nicht mehr sind.

 

 

 

Manfred Tettke | Projektarbeit von 
Siggi Meyhöfer, Caroline Mickel, Lilith Moritz