Irmtraud Reimer-Mentner

Irmtraud Reimer-Mentner, geb. Stiemer

| Heimkind in der Königsheide von 1965 bis 1971

 

 

 

Wünsche & Träume

Am Anfang an dem kalten Januarmorgen ist sie noch etwas aufgeregt, als Irmtraud davon erzählt, woran sie sich gern erinnert, wenn sie an die Zeit im Kinderheim in der Königsheide zurückdenkt: die Gemeinschaft unter den Kindern und den Spaß, den sie mit einander gehabt haben, dieses Beisammensein, dass ihr ein Gefühl von Geborgensein gegeben hat. Jedes Jahr sind sie auch zusammen ins Ferienlager gefahren, nicht nur in der DDR, sondern auch nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei. Sie erinnert sich auch gern an die Kinobesuche, die sie mit einander unternahmen oder wie sie in der 9. Klasse in der „Die Walpurgisnacht“ mitspielen durften und lächelt zum ersten Mal, während sie darüber spricht.

Ihre Einweisung- und Entlassungspapiere:

 

 

Irmtraud wurde 1953 geboren und kam 1962 aufgrund der schwierigen Familiensituation zu Hause mit ihren drei Geschwistern, die mit ihr zusammen nach der Scheidung der Eltern bei dem Vater lebten, ins Heim und durchlief verschiedene Stationen auf ihrem Weg, darunter auch das Durchgangsheim in Alt-Stralau, bis sie 1967 in die Königsheide kam. Zuvor wurde sie von den anderen Geschwistern getrennt, die auf andere Heime verteilt wurden. Einer ihrer Brüder kam später in die Königsheide nach. Wenn sie die beiden Heime vergleicht, sagt sie, dass es „ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht“ gewesen sei und ergänzt zu dem Heim in Alt-Stralau: „Das ist ein Knast gewesen, ein Kinderknast.“ Bis heute versteht sie nicht, warum sie damals als Kinder von einander getrennt und wieso sie ein 2. Mal bestraft wurden.

Aber die Zeit in der Königsheide war auch die Zeit der ersten großen Liebe und der Enttäuschung, die für sie damit verknüpft war: sie verliebte sich in einen Jungen, der auch in der Königsheide untergebracht war. „Bis zur achten Klassen waren wir zusammen in einer Gruppe und dann wurden wir getrennt“, sagt sie dazu, wie im Heim die älteren Jugendlichen, die mittlerweile in der Pubertät waren, von einander getrennt wurden. „Da waren dann in der oberen Etage die Mädels und in der unteren Etage die Jungs, aber das hat uns nicht gestört, wir haben trotzdem zu einander gefunden.“ Auch das Verhältnis zu den Erziehern war nicht sehr innig oder dass man mal von Ihnen in den Arm genommen nehmen konnte, ergänzt sie. Dadurch, dass sie sich verliebt hatte, hatte sie jemand „mit dem man dann gekuschelt hat, den man gedrückt hat“ und fügt hinzu: „Das hat einem doch gefehlt.“

 

 

 

Irmtraud wurde schwanger, zum Mißfallen der Erzieher. Zum damaligen Zeitpunkt war sie das einzige Mädchen, dass in der Königsheide schwanger war, später gab es noch andere Mädchen, die im Heim Beziehungen hatten und schwanger wurden. Sie wurde zu verschiedenen Ärzten geschickt, die sie untersuchten, um zu klären, ob ein Schwangerschaftsabbruch noch möglich wäre. Aber sie wollte das Kind unbedingt haben. Ihr Freund wurde damals dafür bestraft, indem man ihn in ein anderes Heim verlegte und sie dadurch mit, dass er nicht mehr bei ihr war. Sie wußte zuerst nicht, wo er war und wie es ihm ging und hatte während dieser Zeit großen Liebeskummer.

Irmtraud bekam ihre Tochter, als sie sechzehn Jahre alt war und sie hatte Angst, dass man sie ihr wegnehmen und zur Adoption freigeben könnte, da sie noch nicht volljährig war. Ihre Tochter kam nach der Entbindung nach Blankenburg und sie kehrte zurück in die Königsheide. Erst nach einem halben Jahr durfte sie sie regelmäßig an den Wochenenden besuchen gehen, aber die Besuchszeit war immer zur Mittagszeit, während der ihre Tochter schlief und sie konnte sie nur durch ein kleines Fensterchen in den Raum hinein sehen. Mit der Hand malt sie die ungefähre Größe nach, während sie darüber spricht. Es ist etwas dazwischen, dass sie von ihrer Tochter trennt. Sie durfte ihre Tochter während dieser Zeit auch nicht in den Arm nehmen, ergänzt sie. Erst viel später, als ihre Tochter schon größer geworden war, konnte sie sie bei den Besuchen eine halbe Stunde lang in den Arm nehmen, ihr mit der Hand sanft über den Kopf streicheln.

Als sie nach knapp einen Vierteljahr endlich wieder Kontakt zu ihrem damaligen Freund und dem Vater ihrer Tochter hatte, war sie sehr traurig darüber, dass er in der Zwischenzeit eine Beziehung mit einer anderen Frau angefangen hatte. Der Kontakt brach zwischen ihnen wieder ab, für ihre gemeinsame Tochter interessierte er sich nicht. Er hätte seine Tochter sehen können, aber das wollte er nicht. Lediglich den Unterhalt für das Kind zahlte er später regelmäßig. Vor wenigen Jahren als Irmtraud mit ihrer Tochter darüber sprach und ob sie Kontakt zu ihrem Vater aufnehmen wollte, sagte sie, dass er sich sein Leben lang nicht für die interessiert hat und jetzt bräuchte sie ihn auch nicht mehr.

Nach ihrer Volljährigkeit wurde Irmtraud 1972 aus der Königsheide entlassen und sie durfte ihre Tochter endlich zu sich nehmen. Sie fing eine Ausbildung an, die sie dann wieder abbrach, weil sie sich immer gewünscht hatte Schneiderin zu werden. Sie fand eine Arbeit und ging arbeiten. Sie verliebte sich neu und heiratete, bekam drei weitere Kinder, aber ihre Ehe verlief unglücklich. Am Ende wurde die Ehe geschieden.

 

Lebenswege – manchmal drahtig, manchmal sehr verworren. Sie hat aber nie aufgeben, immer weiter gemacht, sagt sie. Und gehofft, dass alles wieder besser wird. Sich danach gesehnt. Bis sie ihren jetzigen Ehemann kennengelernt hat: „Irgendwann kam dann doch der Richtige“, sagt sie und strahlt dabei.

Was ihr besonders wichtig ist im Leben? Ihre Familie und das es allen in der Familie gut geht, antwortet sie. Sie ist manchmal wie ein Glucke gewesen, setzt sie leicht verschmitzt hinzu, aber ihre Kinder sind mittlerweile schon erwachsen und sie muss nicht mehr auf sie aufpassen. Sie haben sich ein eigenes Leben aufgebaut, haben eigene Familien gegründet und sind berufstätig. Und sie kann sie regelmäßig sehen.

 

 

Irmtraud Reimer-Mentner
Projektarbeit von Bernard Raiç