Deike Runge | Mutter von Ruth
| Ruth leitete den Fanfarenzug von 1982 bis 1989
Schon seit Jahrhunderten füllen Menschen ihr Leben und ihren Sinn nach Ästhetik mit den verschiedensten Möglichkeiten aus. Manche von ihnen gelangen dabei zur Musik und erlernen ein Instrument zu spielen. Ob man sich nun alles selbst beibringt oder einen Tutor engagiert oder gar eine Musikschule besucht – mit ausreichend Übung kann man an sein Ziel gelangen.
Manchmal geht es allerdings auch ohne all dies. Manchmal geht es vornehmlich um eine Gruppe, die Kinder aus verschiedenen Schichten vereint und ihnen die Möglichkeit bietet, gemeinsam an einem Projekt teilzuhaben. Ein solches „Projekt“ war der Fanfarenzug des Kreispionierhauses Berlin-Treptow, der von Ruth Runge geleitet wurde und an dem nicht nur die Kinder der örtlichen Familien teil nahmen, sondern auch eine Gruppe an Kindern aus dem Kinderheim Makarenko.
Seit ihrer Kindheit beschäftigte sich Ruth mit der Musik im Fanfarenzug des Kreispionierhauses Berlin-Treptow, der zu dem Berliner Musikkorps der Freien Deutschen Jugend gehörte. Später hat Ruth als Fachangestellte gearbeitet, und wegen der Arbeit und der Mangel an Zeit konnte sie nicht mehr in ihrem lieben Musikkollektiv teilnehmen. Ihre Mutter hat damals bemerkt, wie sehr ihre Tochter die Musik vermisste.
Doch bald hatten sie von einer Bekannten erfahren, dass das Kreishaus „Maxim Gorki“ nicht mehr verwendete Instrumente besaß: Rohre, Trommeln usw. Gleichzeitig suchte das Kinderheim nach einer weiteren Möglichkeit ihren Kindern eine Freizeitbeschäftigung zu bieten. Daraus entstand unter der Führung von Ruth ein Fanfarenzug, der den Heimkindern und Kindern von außerhalb gleichermaßen die Möglichkeit bot, sich musikalisch zu betätigen. Viele von ihnen lebten in dieser Umgebung auf, insbesondere bei den Ausflügen in verschiedene Pionierlager und genossen die Zeit sehr, bei der sie nicht nur erprobten, sondern auch andere Aktivitäten gemeinsam bestritten. Sie selbst sah sich dabei wohl niemals in der Mutterrolle; viel eher empfand sie die Kinder als Nichten und Neffen oder, im Falle von den Älteren, als eine Art Geschwister.
Während der Zeit in den Lagern folgten sie Tagesplänen, die zwischen Einzel- und Gesamtproben auch Zeit für gemeinsames Basteln, Diskos, Eis essen oder Spaziergängen in den umliegenden Wäldern ließ. Die Auftritte selbst umfassten dabei viele Ereignisse in Johannisthal, darunter auch ein paar direkt im Kinderheim, bei denen die Kinder ein Repertoire von rund 20 Liedern gespielt hatten und dabei in ordentlicher Formation marschiert waren.
Nach dem Zusammenbruch der DDR tat sich ein komplett neues Kapitel im Leben von Ruth auf: Kurzarbeit Null, eine dreijährige Umschulung, zahlreiche Bewerbungen und nur wenige Antworten auf diese, trotz ausgezeichneter Abschlussnoten. Es blieb keine Zeit mehr für den Fanfarenzug und bevor man sich dessen bewusst geworden war, war auch von dem Kinderheim und den dazu gehörigen Kindern nichts mehr übrig.
Trotz der schwierigen Zeit, die sie durchstehen musste, war sie jedoch weiterhin ein Teil des kulturellen Lebens und trat beispielsweise in einem Club in Oberspree auf. Leider verstarb sie bereits 2013 in Folge einer Krankheit, weswegen es ihr nicht vergönnt war, die Erinnerung an ihre Arbeit mit den Kindern aus der Königsheide weiterzugeben.
Es war ihre Mutter, Deike Runge, die in den Besitz dreier Alben gelangte, die ihre Tochter mit Fotos von den Ausflügen und Proben mit dem Fanfarenzug sowie anderen Erinnerungsstücken, zusammen gestellt hatte. In Vertretung für Ruth teilte sie mit uns alles, an das sie sich aus dieser Zeit erinnern konnte, und auch, wie sie selbst das Kinderheim empfand.
Frau Runge selbst bezeichnet sich als Kriegskind. Aufgrund des zweiten Weltkriegs musste sie mit ihrer Familie nach Bayern fliehen – ihre Wohnung in Berlin überstand die Kämpfe jedoch und so war es ihnen möglich, dorthin zurück zu kehren. Nach ihrer Rückkehr dorthin wurde sie in Berlin in die zweite Klasse eingestuft und teilte sich den Unterricht auch mit Kindern, die bereits älter waren, durch den Krieg allerdings mehrere Schuljahre verpasst hatten.
Schon damals lebte sie in Johannisthal und spielte mit den anderen Kindern in der Königsheide. Als 1953 dort das Kinderheim erbaut wurde, bekam sie dies mit, hatte allerdings niemals großartig persönlich damit Kontakt. Nur manchmal kam sie beim Pilze sammeln im Wald an dem Zaun vorbei, der das Gelände umgab.
Insbesondere nach der Teilung Deutschlands, als viele Paare ihre Kinder bei der Flucht in den Westen zurück ließen, besaß sie eine deutliche Meinung darüber, dass es für diese Kinder in der Königsheide ein Heim gab. Sie sprach sich dabei immer gegen den, von vielen gebrauchten, Spruch „eine schlechte Familie für ein Kind ist besser als das beste Kinderheim“ aus. Ihrer Meinung nach war das Heim eine Rettung für viele.
Ruth – Mutter Deike Runge | Projektarbeit von
Alice Maleiß, Margaryta Soloviova